In einer Freundes- oder Bekanntenrunde sagte mal jemand innerhalb eines Gesprächs zu mir:
„Sag mal, warum liest du eigentlich immer? Ist das nicht langweilig? Was bringt dir das? Was gibt dir das, dass du pausenlos liest? Ich würde Kopfschmerzen kriegen, davon.“
Ich war völlig überrumpelt – und ich sagte gar nichts dazu. Vielleicht ist es auch besser, gar nichts auf so etwas zu sagen. Ich war aber nicht beleidigt. Nur: Ich konnte damit nichts anfangen. Und ich lächelte etwas verunsichert – aber nicht lange. Denn dann sofort rief der Nächste:
„Lass sie in Ruhe, sie braucht das einfach! Stimmt’s? Ist doch so, ist es doch, stimmt’s, Gerburgis? Sie liest schon, seit sie denken kann – sie braucht das einfach. Stimmt’s, Gerburgis? So ist das im Leben: Der eine liebt Bücher — der andere Zigaretten.”
Alle lachten, während derjenige, der das sagte, genüsslich die nächste Kippe ansteckte.
Ja, … da musste ich auch lachen. Und wir sind nicht näher auf das Thema eingestiegen. Zum Glück.
Möglicherweise hätte ich mich noch aus lauter Verlegenheit verteidigt.
Aber womit?
Naja – ich meine: Was heißt überhaupt „weil ich’s brauche“?!
Das war bestimmt wohlwollend gemeint. Die Wahrheit allerdings ist: Das trifft es gar nicht.
Die Wahrheit ist: Ich lese aus purer Neugier.
Und ich lese auch nicht, seit ich denken kann. Ich konnte schon denken, bevor ich gelesen habe.
Ich lese, seit ich lesen kann. Ich begann ungefähr mit fünf.
Und ich musste ja lesen – um weiterzukommen.
Es fing an mit so kleinen Pixie-Büchern und Druckbuchstaben. Zwischendurch nervte ich permanent mein gesamtes Umfeld und fragte immer Sachen wie:
„Was ist das für ein Buchstabe, ein A mit zwei Punkten drüber?“
Oder sowas. Oder ich konnte kein ch lesen.
Dann hatte ich es überlesen. Einfach so. Dachte mir:
„Ach, ich werde schon trotzdem verstehen, was die da sagen wollen – von den kleinen Schweinchen, und dem Bauernhof, und der Kuh, und dem Melken.“
(Davon handelten ein paar meiner Pixie-Bücher – das weiß ich noch.)
Ja – und ich musste , mehr oder weniger zwingend, weiterlesen. Denn ich war jetzt viel zu neugierig.
Dabei ging es mir nicht um diese „wahnsinnig wichtige Bauernhof-Geschichte“ –
(Haha, das habe ich jetzt extra übertrieben gesagt! 😃)
Nein – der wahre Grund lag darin: ich wollte unbedingt herausfinden, wie weit ich komme mit meinem Lesen.
Ich bemerkte nach kurzer Zeit, dass sich mir sogar schon Inhalte erschlossen. So sukzessive.
Und ich musste immer weitermachen.
Eine ganze Weile später, irgendwann im ersten Schuljahr (ich glaube Mitte erstes Schuljahr oder so),
konnte ich dann tatsächlich richtig lesen – also Bücher!
Ja – und ab dem Moment ging es aber los!
Ich konnte ab da einfach nicht mehr aufhören.
Zurück zur Ausgangsfrage:
Was heißt: Ich brauche es?
Das hört sich immer so nach New Age an.
Was braucht man schon?
Man braucht Luft zum Atmen, ein Dach über dem Kopf – und Wasser und Brot.
Mehr braucht man eigentlich nicht. Also – grob gesagt.
Ich bin einfach unaufhaltbar neugierig.
Mit zunehmendem Alter würde ich das Wort „neugierig“ dann mal ersetzen mit dem Wort „wissensdurstig“ oder „wissbegierig“.
Wobei wissensdurstig schon richtig passt.
Auch heute noch: Es hört nicht auf.
Es ist eine Mischung aus Neugier, Wissensdurst, Wissbegierde.
In der heutigen Zeit kommt noch ein wichtiger Faktor hinzu:
Niemals zuvor war es so einfach, sich entsprechende Lektüre zu einem Thema, über das man immer schon mal mehr wissen wollte, zu besorgen.
Heute fragt man Google, gibt einfach das Thema ein, schreibt daneben „Buch“, und … dann gucken wir mal, was Google ausspuckt. Damit hat man dann schon gleich mehrere Vorschläge.
Früher war das noch ein etwas mühsamerer Weg.
Man musste in die Buchhandlung gehen, mit mehreren Buchhändlern sprechen –
weil einer kannte sich in dieser Thematik aus, der andere wiederum innerhalb eines anderen Themenbereichs.
Oder man hatte im Urlaub in der hoteleigenen Bibliothek vielleicht mal etwas “Erbauliches” (oder einfach nur Unterhaltsames!) gefunden, das man aber doch nicht mit nach Hause nehmen durfte. Dann hatte man vergessen, sich den Titel aufzuschreiben.
Jetzt musste man überlegen: „Wie hieß das nochmal?“
Oder man musste sich durchfragen, recherchieren.
Wobei einem eines ja geblieben ist – jedenfalls zusätzlich:
Damals war es ausschließlich möglich, sich lange in Buchgeschäften aufzuhalten –
und dort zu stöbern, zu fragen, zu schmökern, zu gucken.
Heutzutage kann man sich das Besorgen der gewünschten Lektüre um ein Vielfaches vereinfachen.
Nichtsdestotrotz bin ich immer noch genauso lange im Buchgeschäft – zusätzlich —
und schnüffel und gucke und lese hier ein bisschen, dort ein bisschen und schaue mich um.
Meine Kinder nehme ich mit, und die haben sich auch schon daran gewöhnt.
Das sind nicht wirklich solche Leseratten, wie ich es war.
Aber zumindest konnten sie von klein an ein Gefühl für Bücher entwickeln.
Sie mögen Bücher – und sie interessieren sich für Bücher.
Ganz gleich, ob sie sie selber lesen,
sich von mir vorlesen lassen,
… oder stundenlang nach einem spannenden Buch suchen, das sie vielleicht verschenken möchten.
Das ist schon mal eine schöne Sache, finde ich.
Auch wenn sie dann im Endeffekt keineswegs so viel lesen, wie ich das in ihrem Alter getan hatte..
Das müssen sie ja gar nicht.
Lesen ist Einatmen, Schreiben ist Ausatmen.
Lustig, ich sitze auch gerade an einem Post, in dem es ums Lesen geht, was die Vorstufe des Schreibens ist. Und da geht es auch um die Bücher meiner Kindheit und Jugend. Pixiebücher habe ich da aber nicht erwähnt, dabei sind das auf jeden Fall auch meiner ersten Selbstleseerfahrungen! 🥰